Freitag, 28. November 2008

Crearte

Hier mal ein Eindruck von meiner Arbeit (als Volunteer) bei Crearte, dem "Centro Cultural para personas con discapacidades". Hier verbringen von Montag bis Freitag 50 bis 60 Menschen mit geistigen Behinderungen ihren Tag und haben die Mögichkeit, an vielen verschiedenen tallers (Arbeitsgemeinschaften) teilzunehmen und somit ihren Interessen nachzugehen und ihre Fähigkeiten weiter auszubauen. Ich selbst helfe in der Marionetten- und Nähwerkstatt sowie in der Schreinerei mit und habe mitunter viel Spaß mit den Leuten vor Ort.

Die Initiative besteht seit 1995 und ist hat sich immer wieder weiterentwickelt. Viele Dinge werden der Öffentlichkeit zum Verkauf angeboten, darüber hinaus gibt es regelmäßig Tanz-, Theater- und Percussion-Aufführungen, die sich lohnen. Wenn alles klappt, wird die Theatergruppe im Juni nächsten Jahres auf Deutschland- und Schweiztournee sein und in Stuttgart ihr Theaterstück "Tanguearte" aufführen. Hoffen wir, dass nichts dazwischen kommt.




Samstag, 22. November 2008

Des Argentiniers wahre Seele

Davis-Cup-Finale im Tennis, Argentinien gegen Spanien, die Sandplatzspezialisten aus Spanien sind nicht nur wegen Tarzan Nadal haushoher Favorit, Argentinien jedoch bekommt Heimrecht und darf Austragungsort und Bodenbelag bestimmen. Die Krux an der Geschichte ist, dass auch die Argentinier eher auf Sand als auf Hartplatz gewinnen. Und, es gibt kein echtes Tennisstadion, selbst für das größte Turnier des Landes in Buenos Aires (ATP-Status mit 531.000 USD Preisgeld!) werden Stahltribünen aufgebaut, die das enthusiastisch grölende und hüpfende Publikum fast zu Fall bringt. Nach langen Diskussionen um Ort und Belag, die in der heimischen Presse genüsslich ausgebreitet werden, entscheidet man sich für Mar del Plata an der Atlantikküste, mit 600.000 Einwohnern immerhin noch die siebtgrößte Stadt Argentiniens, aber auch die Heimat von Tennis-Legende Guillermo Vilas, der gleich mal für irgendwas geehrt wird, nomen est omen. Und man verlegt einen Hartplatz, um die Chancen zu steigern. Als dann auch noch Rafa Nadal wegen Übermüdung und Schmerzen absagt, kippen die Wettquoten und TyC Sports darf sich auf noch höhere Einschaltquoten freuen.

Und wer jetzt denkt, ich hielte mit den Gauchos, der irrt. Denn was hier abgeht, ist typisch argentinisch, hochmütig und selbstgerecht, kokett und chauvinistisch, Klischee wie es im Buche steht. In den lokalen Medien liest man: "Die argentinischen Fans glüten vor Inbrunst und verwandelten das Stadion 'Islas Malvinas' in einen Hexenkessel. (...) La Bombonera (Stadion von Boca Juniors) eingezwängt in einen Tennisplatz." Was sich hier während der Matches abspielt, habe ich im ganzen Tennis noch nicht gesehen. Das Publikum der Australien-Open und der US-Open, das in der Szene als laut und manchmal unhöflich bekannt ist, weil die Fans schonmal hörbar Partei ergreifen, nimmt sich dagegen wie leise Konzertränge aus. Ununterbrochene Fangesänge, laute Schlachtrufe mit Trommeln und Trompeten begleiten jeden Ballwechsel, gellende Pfeifkonzerte, Zwischenrufe und Buh-Rufe erschallen bei jedem Aufschlagfehler, die Fehler und besonders die Doppelfehler der Gegner werden bejubelt, und sogar während der Aufschlagvorbereitung der Iberer und während der Ballwechsel ebbt das Gegröle nicht ab - ein Tabu im Tennis. Das Westfalenstadion beim Revier-Derby ist nichts dagegen, sowas kannte man vielleicht noch aus den besseren Tagen der DEG an der Brehmstraße, heute allenfalls noch mit der Anfield-Road oder Old Trafford vergleichbar. Die Argentinier zeigen hier ein Verhalten, das an Unsportlichkeit und Arroganz nicht zu überbieten ist, die Gesänge gehen deutlich unter die Gürtellinie, nur ein Beispiel: "A estos putos maricones les tenemos que ganar." (Gegen diese gef... Schwu... müssen wir gewinnen.")

Aber so ist er eben, der Argentinier, fanatisch und egoistisch, und dazu eben ein wenig heimtükisch und gewissenlos, wenn es um sein Wohl geht. Der Stuhlschiedsrichter hebt beschwichtigend die Arme und bittet unablässig um Ruhe, ohne jeden Erfolg, immerhin versucht auch der argentinische Coach, die Meute zu beruhigen. (Ich habe noch nie einen Tennisschiedsrichter so viel reden hören.) Um so bewundernswerter ist die Ruhe der spanischen Spieler, die nach den ersten drei Partien mit 2 zu 1 führen, da Fernando Verdasco und Feliciano Lopez das Doppel nach Satzrückstand für sich entscheiden (5-7, 7-5, 7-6, 6-3). Morgen stehen die entscheidenden beiden Einzel an, für mich ist die Entscheidung jedoch schon gefallen, Europameisterschaftsfinale hin oder her, egal ob die Iberer hier den ungleichen Kampf gegen tausende Irre gewinnen oder verlieren, sie haben meine ganzen Sympathien. Und jetzt können sie auch mal dem verzweifelten toro gegen übermächtige Toreros nachfühlen.


Nachtrag: Spanien gewinnt den Davis-Cup nach 2000 und 2004 durch den entscheidenen Sieg von Fernando Verdasco mit 3 zu 1, das letzte Einzel wurde nicht mehr gespielt. Da können wir uns wohl 2012 auf den nächsten Sieg der Spanier einstellen.

Sonntag, 16. November 2008

Weiter Richtung Norden

Mit zwei Koffern ging es nach meiner Fortbildung in Buenos Aires weiter nach Misiones, der nordöstlichsten Provinz Argentiniens. Wie ein Dorn ragt sie aus dem Land in die beiden Nachbarländer Paraguay und Brasilien. Grenzen bilden die Flüsse Paraná, Iguazú und Uruguay. Das Klima ist subtroptisch mit warmen feuchten Sommern. Einst war die Provinz Teil des atlantischen Regenwaldes, der ursprünglich mit seiner Fläche von zwei Millionen Quadratkilometern auch große Teile von Brasilien und Paraguay bedeckte. Heute sind nur noch sieben Prozent dieses Waldes vorhanden. In den letzten Jahrzehnten fielen weite Teile verschiedensten Industrie- und Landwirtschaftsprojekten zum Opfer, so zum Beispiel dem Anbau von Eukalyptus-Monokulturen zur Papier- und Zellstoffherstellung, Tabak, Tee, Yerba und Soja… Der atlantische Regenwald beherbergt eine Fülle von Tiere und Pflanzen, deren Bestände seit Beginn der Abholzungen immer weiter zurückgehen.

Immer weiter zurückgedrängt und von ihrer Existenz bedroht werden dadurch auch die Ureinwohner dieser Gegend, die seit über 2000 Jahren dort im Einklang mit der Natur ihr Überleben sichern konnten. Die Rede ist von den Guaraní-Indianern, ein Volk von Jägern und Sammlern, die im atlantischen Regenwald einst alles zur Verfügung hatten, was sie zum leben brauchten. Dabei nahmen sie sich vom Wald und der Natur stets nur das, was sie zum Überleben brauchten, wie zum Beispiel Früchte, Wurzeln und Samen, aber auch Fisch und frisch gejagtes Wild stand einst auf dem Speiseplan. An einem Ort angekommen bauten sie solange Mais und Maniok an (denn diese wachsen relativ schnell), bis die Erde unfruchtbar wurde, und wanderten weiter, bis sie einen neuen Ort gefunden hatten. Dabei waren sie oft sehr lange unterwegs und legten unvorstellbare Entfernungen zurück. Mit der Einwanderung der Europäer veränderte sich das Leben der Guaraní, viele wurden versklavt und misshandelt. Ab 1608 kamen die ersten Jesuiten in die Region, bekehrten viele Guaraní, die fortan in den Jesuitenredukionen lebten und so der Sklaverei entkamen, bis nach vielen, teilweise auch kriegerischen Auseinandersetzungen, der spanische König die Guaraní 1767 vertreiben ließ und die Reduktionen auflöste. Die Gebäudereste dieser Reduktionen können auch heute noch bestaunt werden und wurden teilweise sogar von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt. Die Guaraní zogen sich wieder in die Wälder zurück und versuchten an die alte Kultur anzuknüpfen. Mit dem Bau der ersten Verkehrswege, der beginnenden Landrodung und der aufkommenden Landwirtschaft begann sich jedoch die Situation der Guaraní immer weiter zu verschlechtern. Heute ist die Lage des mittlerweile vom Aussterben bedrohten Volkes katastrophal. Durch die Abholzung des Waldes verlieren die Indianer jegliche Lebensgrundlage, durch den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft werden zunehmend Flüsse und Gewässer vergiftet, das Jagen ist reduziert, sodass das Fangen eines Tieres eine seltsame Ausnahme darstellt. Die Ernährung ist mittlerweile sehr einseitig. Die Regierung hat der indigenen Bevölkerung Land zugesprochen, das unzumutbarer nicht sein kann: Kein Zugang zum Wasser, unfruchtbarer Boden, sodass der Anbau von Mais und Maniok nur eingeschränkt möglich ist. Unter- und Mangelernährung sind die Folge. Viele Infektionskrankheiten machen sich breit, Kinder husten und haben Dauerschnupfen. Die Lebenserwartung liegt bei 40 Jahren Seitens der Regierung existieren Hilfsprogramme, Initiativen und sogar Gesetze, die sich um den Erhalt der indigene Bevölkerung kümmern sollen. Die finanziellen Mittel scheinen vorhanden zu sein; leider wohl nur auf dem Papier, denn bisher erreichen sie nicht ihr Ziel. Gründe dafür gibt es viele: Schlecht oder gar nicht arbeitende Staatsdiener, Korruption und Vetternwirtschaft. Um dennoch den Schein zu waren, werden Nonsensprojekte realisiert. So sehe ich zum Beispiel beim Besuch der Guaraní, dass die Regierung jeder Siedlung eine Solarzelle zur Verfügung gestellt hat. Auf mein Nachfragen hin, wird meine Bewunderung schnell getrübt. „Das Ding bringt uns gar nichts. Erstens hat es nur zwei Wochen funktioniert und zweitens kann man damit nicht mehr als einen Ventilator anschließen“, und tatsächlich: In dem daneben stehenden Holzverschlag hängt tatsächlich an der Decke ein kleiner Ventilator.
Fortsetzung unten

Samstag, 15. November 2008

Hilfe für die Guaraní

Eine kleine Hoffnung gibt es für die Guaranís: Ein Ehepaar aus dem Saarland gründete Mitte der 1990er Jahre die so genannte Guaraní-Hilfe e.V. und leistet seitdem Unvorstellbares. Ihr Ziel ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, damit die Guaraní lernen sich in der veränderten Umgebung zurecht zu finden, Alternativen zu finden, überleben zu können. Trotz vieler Hindernisse und Rückschläge sind sie bis heute nicht müde geworden, ihre ganze Kraft und Zeit in die Verbesserung der Lebensbedingungen der Guaraní zu widmen und sich für deren Rechte einzusetzen, denn „schließlich sind wir, die Mitglieder der Konsumgesellschaft, ja für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage mitverantwortlich“, meint der Vorsitzende. Eigentlich wollte ich nur einen Koffer Kleider abgeben, weil ich durch Telefonate mit dem Ehepaar über die Not und die Problematik erfahren hatte. Durch einen Zufall ergab sich aber dann ein Zusammentreffen mit dem Vereinsgründer, der einen Tag zuvor aus Deutschland angereist war, um einige wichtige Dinge vor Ort voranzutreiben.

So ergab sich für mich die einmalige Möglichkeit mit ihm und Estela, die vor Ort immer erste Ansprechpartnerin ist, in die Siedlungen zu fahren, die sonst für mich niemals zu erreichen gewesen wären. Wir fuhren von der Stadt etwa eine Stunde tief in das Land hinein. Von Wald kann zwar durch die vielen Rodungen nicht mehr gesprochen werden, dennoch bekam ich zum ersten Mal einen Eindruck, wie wohl ein Regenwald aussieht. Das Grün, was ich hier zu sehen bekam, beeindruckte mich sehr. Die Farben schienen intensiver und viel satter, das Grün der Bäume und das Rot der Erde ergaben einen starken Kontrast, andere Farben schienen fast nicht vorhanden zu sein. Auch wenn ich die ganze Fahrt auf der Ladefläche eines Geländewagens sitzend jede kleinste Wurzel, jedes Steinchen und jede Pfütze zu spüren bekam, war die Fahrt für mich ein Erlebnis. Wir besuchten insgesamt drei Guaraní-Siedlungen, meist einfache Hütten aus Naturmaterialien. Man erklärte mir, dass es zurzeit schwierig sei, neue Hütten zu errichten, da die für den Bau nötige Bambusart alle 32 Jahre stirbt, was kürzlich der Fall war. Bis neues Baumaterial heranwächst, dauert es einige Jahre. Den Guaraní, die ich getroffen habe, geht es verhältnismäßig gut, denn hier hat sich dank der Guaraní-Hilfe so einiges getan: In fast allen Siedlungen stehen Waschhäuser und Toiletten zur Verfügung. Die Kinder haben die Möglichkeit zumindest eine Grundschule zu besuchen, was aber mit langen Schulwegen verbunden ist. Dort stehen neben zwei Klassenzimmern auch ein Speisesaal und einige Werkstätten zur Verfügung. In einem Dorf gibt es eine Destillationsanlage zur Herstellung von ätherischen Ölen, die verkauft werden. Eine Schreinerei wurde errichtet, zurzeit läuft die Ausbildung und Unterweisung im Umgang mit den Maschinen. Es gibt eine Nähwerkstatt, in der Altkleider ausgebessert werden, einen Medizinalgarten und ein Erste-Hilfe-Haus. Darüber hinaus wurde in der Stadt ein Internat errichtet, das den Kindern den Besuch der weiterführenden Schule ermöglicht. Wenn die Wetter- und die Straßenlage es erlaubt, fahren sie am Wochenende zurück in ihre Siedlungen.

Der Spagat zwischen dem Kulturerhalt und den nötigen Anpassungen an die neuen Bedingungen ist nicht einfach. So ziehen es einige Kinder im Internat vor, nicht auf Matratzen zu schlafen (das sei nur etwas, wenn es wirklich kalt ist), manchmal gibt es Schwierigkeiten sich an gewisse Regeln zu halten. Es gibt eine Fülle von einzelnen Projekten und Vorhaben, die auf der vereinseigenen Homepage beschrieben werden. Zusammenfassend kann man sagen, dass bisher Unglaubliches geschaffen wurde, um dem Volk der Guaraní eine neue Lebensgrundlage bieten zu können, die darauf ausgerichtet ist, unabhängig und selbständig zu sein. Daher wurde man während dieses Tages auch nicht müde zu betonen, dass den Guaraní nichts geschenkt werde, ihnen werde lediglich die notwendige Infrastruktur zur Verfügung gestellt und Unterricht erteilt, um nachhaltig für sich sorgen zu können. Almosen und Schenkungen gäbe es nicht, Alles, was man zusätzlich braucht (Kleidung, Nahrung etc.) muss abgekauft werden. Auch wenn es Materialspenden gibt, wie zum Beispiel meinen Koffer voller Altkleider, so werden diese nicht einfach unter dem Volk verteilt, sie werden gegen ein entsprechendes Entgelt abgegeben. Geld erhalten sie durch den eigenen Anbau von Tee, die Gewinnung von ätherischen Ölen und in Zukunft auch durch die eigene Schreinerei. Darüber hinaus sind die Guaraní künstlerisch und handwerklich sehr begabt und verkaufen schöne Kunstgegenstände.

Für mich hat diese Reise in eine andere Welt einen bleibenden Eindruck hinterlassen, und meine Hochachtung gilt dem Ehepaar Hartmann, das bisher große Dinge erreicht hat. All die realisierten Projekte entstanden allein durch diese Privatinitiative, was ich beachtlich finde. Leider erreicht das Ehepaar mit ihren Bemühungen nur einen kleinen Teil der indigenen Bevölkerung, fünf bis zehn Prozent schätzungsweise. Wie es dem Rest ergeht, ist gar nicht auszudenken. Von daher kann ich die Guaraní-Hilfe jedem empfehlen, der den ein oder anderen Groschen locker sitzen hat und Gutes tun will. Ich werde es tun. Das Geld ist garantiert in guten Händen und kann Großes bewirken, das durfte ich mit eigenen Augen erleben. Noch viel mehr Informationen gibt es auf der Seite der Guaraní-Hilfe e.v., zum Beispiel den ausführlichen Bericht „Die Guaraní, das vergessene Volk Argentiniens“.