Montag, 7. Mai 2007

Tage wie dieser!

Hier in Bariloche scheint es nur zwei verschiedene Arten von Tagen zu geben: Ein Tag an dem alles klappt, oder ein Tag an dem alles schief läuft. In bunter Willkür wechseln sich diese immer wieder ab. Ich skizziere euch einmal ein Beispiel für einen Tag, an dem alles schief läuft: Ich nehme mir vor, hinunter in die Stadt zu gehen, um folgende Dinge zu erledigen: Dokumente faxen, Briefumschläge kaufen, Dokumente kopieren und zur Post bringen und Einkaufen einiger Lebensmittel.

Zunächst einmal laufe ich los und vergesse die Faxnummer, so dass ich einen Block wieder bergauf zum Haus laufen, dass Tor und die Haustür wieder aufschließen und die Alarmanlage deaktivieren muss, um dann dasselbe in umgekehrter Reihenfolge wiederholen zu müssen, nachdem ich endlich die Faxnummer gefunden habe. Meine erste Station ist das nächste Locutorio, in dem ich das Fax versenden will. Nach vier Versuchen sagt das nette Mädchen etwas, das mir zu verstehen gibt, dass es nicht klappt, denn sie schüttelt den Kopf und gibt mir die Seiten zurück, warum auch immer… Ich bedanke mich mit einem „Gracias“ und gehe, nachdem ich für diesen Versuch vier Pesos bezahlt habe. Ich entscheide mich, kurz an der Bushaltestelle zu warten, vielleicht habe ich ja Glück und es kommt einer, der mich nach unten fährt. Schnell wird klar, dass ich kein Glück habe, denn eine Frau erzählt mir, dass heute die Busse streiken aus Trauer wegen des bei der Demonstration umgekommenen Lehrers. Nun gut… geh´ ich eben zu Fuß. Auf halbem Wege komme ich wieder an einem Locutorio vorbei und versuche es erneut mit meinem Fax. Aber auch hier habe ich kein Glück, diesmal zeigt mir der nette Mann auf der Faxbestätigung „no connection“. Ein Teilerfolg: Ich muss für die missglückten Versuche nix zahlen… Sehr nett! In der Stadt angekommen sehe ich einen Schreibwarenladen, der auf dem Schaufenster in großen Lettern „Fotocopias“ stehen hat. So gehe ich zuversichtlich hinein, hole meine Unterlagen heraus und sage: „Fotocopias, por favor!“. Die Frau schaut mich völlig entgeistert an und sagt entschieden „No“, den Rest ve
rstehe ich nicht. Aber ihrer Gestik und Mimik zufolge muss ich wohl ganz falsch gelegen haben, so als ob ich beim Bäcker eine Kontaktanzeige hätte aufgeben wollen. Vor der Tür schaue ich noch einmal ganz dramatisch und übertrieben auf das Schild im Schaufenster. Ganz demonstrativ will ich aus meinem Rucksack mein Wörterbuch herausholen (ich bin mir sicher, dass „Fotocopias“ Fotokopien heißen, nun ja…, vielleicht heißt es ja nur, dass sie im Geschäft Fotokopien liegen haben, nicht, dass sie welche herstellen können), und so stelle ich fest, dass ich meine Bibel, mein Garant fürs Überleben in der Fremde, zu Hause gelassen habe. Na super! Ich versuche trotzdem, im nächsten Schreibwarenladen Briefumschläge zu erwerben, denn in dem anderen wollte ich nicht länger als nötig bleiben.

Kühn und abenteuerlustig orientiere ich mich sorgfältig, finde aber keine Briefumschläge… Ich überlege, ob ich jemanden fragen soll… Aber wie? Ohne Wörterbuch? Vielleicht auf Englisch? Vielleicht heißen Briefumschläge ja ähnlich wie im Englischen, also „envelopes“ oder so. Ich versuche es, aber man versteht mich nicht! Englisch kann hier auch keiner! Grrrrr…!! Atmen nicht vergessen! Ich gehe weiter und treffe auf das dritte Locutorio und versuche hier mein Glück mit dem Faxen… Aber auch hier kein Glück, und dies doppelt, denn der Typ will für seine drei Versuche gleich 6 Pesos! Wieder auf der Straße atme ich ein paar Mal tief durch und entscheide, vielleicht einmal die Faxnummer zu überprüfen, vielleicht ist die ja falsch. Ich gehe also in das nächste Locutorio, in das von eben will ich natürlich nicht mehr rein, wahrscheinlich würde ich für eine Minute Internet 100 Dollar bezahlen. Gott sei Dank ist die Stadt gesäumt mit diesen Allround-Mediotheken, sodass ich auch kurze Zeit später vor einem PC sitze, der mir alle nötigen Einblicke in das World Wide Web gewährt. Nur, die Faxnummer ist richtig, also frage ich hier um die Versendung eines Faxes. Hier entschuldigt man sich jedoch ausgiebig, da das Faxgerät zur Zeit „no funcionar“(t). Beim nächsten Locutorio funktioniert zwar das Faxgerät, aber die Verbindung kann nicht hergestellt werden. Faxbericht: Negativ. Ich beschließe, in dem Büro in Deutschland, dass das Fax dringend benötigt, anzurufen und nachzufragen… Nächstes Problem: Ich habe kein Kleingeld! Ich beschließe mir Kleingeld zu besorgen, in dem ich mir am Kiosk an der Ecke Kaugummis kaufe, um mit dem Kleingeld zu telefonieren. Der Kiosk-Mann ist nett und fragt nach meiner Herkunft und was ich hier mache. Ich erzähle ihm von der deutschen Schule und dass Marc dort Lehrer ist. Und schon haben wir ein Gesprächsthema, denn sein Sohn geht dort in die fünfte Klasse… Nach einigen Momenten netten Smalltalks stehe ich wieder auf der Straße und stelle fest, dass der Typ mir nur Scheine zurückgegeben hat, hatte ich doch glatt vergessen, warum ich eigentlich Kaugummis kaufen wollte. Die Argentinier haben auch für 2 Peso Scheine (= 50 Cent), deshalb bekommt man oft Wechselgeld in Form von Scheinen zurück. Nun ja…, ich beschließe, mir im nächsten „todo“ (Supermarkt) etwas zu trinken zu besorgen, denn ich habe ganz schön Durst und nebenbei erhoffe ich mir ein paar Münzen Wechselgeld! Das habe ich auch kurze Zeit später in Händen, aber die erste Telefonzelle ist besetzt, die nächste hat keinen Hörer mehr und die dritte nimmt meine Münzen nicht an. Zwischendurch komme ich an der Bibliothek vorbei. Wohl wissend, dass die einen Kopierer haben, betrete ich das Gebäude. Aber auch hier entnehme ich dem Monolog der Dame zwei entscheidende Worte: „….no ….funciona“.

Zurück zur Telefonmisere: Da ich nun sowieso schon in der Nähe bin, beschließe ich, in einem mir bekannten Kiosk eine internationale Telefonkarte zu kaufen, denn da bin ich nicht auf Kleingeld angewiesen. Auf dem Weg komme ich an der Post vorbei und denke, hier muss ich sowieso meine Briefe abgeben, die haben bestimmt auch Briefumschläge! Hier reicht die Schlange aber bis an die Treppe an der Straße, so dass ich beschließe später noch mal hinzugehen… Weiter vom Pech verfolgt hat das erste Kiosk keine Telefonkarten mehr, das zweite Kiosk hat schon Siesta und so laufe ich vom Schicksal gejagt durch die Stadt auf der Suche nach entweder einem funktionierendem und nicht besetzten Münztelefon oder nach einem Kiosk, das Telefonkarten verkauft… Ohne Erfolg. Einmal sehe ich von weitem eine freie Telefonzelle, aber knapp eineinhalb Meter vor mir verschwindet ganz frech eine kleine alte krumme Hexe in das Häuschen… Verzweiflung und Frust wollen Wasser aus meinen Augen drücken, aber ich kann die Tränen noch zurückhalten! Ich beginne ziellos und ohne Verstand durch die Straßen zu laufen. Am Ende der Einkaufstraße sehe ich ein Schaufenster, in dem meine Telefonkarten ausgestellt sind. Endlich, das Schicksal lässt mich doch nicht in Stich! Gekauft und schon in einer Telefonzelle verschwunden. Dieses Telefon akzeptiert jedoch die Nummer der Hotline, bei der ich meinen auf der Karte freigerubbelten Zugangscode eingeben will, nicht. Das Telefon tutet einfach nicht! „Okay, Birgit, solche Rückschläge kennst du ja bereits, nicht aufgeben, weiter geht´s!“, denke ich mir. Hundert Meter weiter gibt es wieder ein Telefon! Nachdem ich die Hotline angerufen und meinen auf der Karte freigerubbelten Code eintippe, hör
e ich am anderen Ende der Leitung ein Band: Ich verstehe nur „es incorrecto“?! Ein erneuter Versuch: „el numero de su tarjeta es incorrecto“! Hääääää?! Jetzt ist es soweit: Eine Träne findet den Weg nach draußen! Ich bin echt verzweifelt, stolpere aus der Zelle und wandere weiter, hoffnungslos, ziellos, resigniert und am Boden zerstört. Dennoch, meine Wahrnehmung lässt mich nicht im Stich und so entdecke ich wieder eine Telefonzelle auf der anderen Straßenseite (dort, wo eben die Hexe schneller war als ich). Hier habe ich Glück, die Nummer wird akzeptiert, ein Freizeichen, ich habe es geschafft, juchee!! Doch warum geht keiner ´ran? Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es ein Uhr ist, was so viel heißt, dass es in Deutschland fünf Uhr ist und das Büro bereits geschlossen hat! Okay… ich sollte auf dem schnellsten Weg wieder nach Hause, das ist nicht mein Tag!

Doch halt stopp: Ich könnte noch schnell an der Post vorbei, die Briefe aufgeben. Wieder Mut und Hoffnung schöpfend tragen mich meine Füße weiter! Doch vor der Post stehend, stelle ich fest, dass auch sie von 13 bis 16 Uhr Siesta hat! Ich beschließe nach Hause zu gehen und bitterlich zu weinen, doch auf dem Weg komme ich auf die Idee, Hackfleisch für Spaghetti Bolognese zu kaufen. Da der Supermarkt keine Selbstbedienungstheke hat und ich nicht weiß, was Hackfleisch heißt, verlasse ich den Supermarkt kurze Zeit später und vergesse dabei, dass ich eigentlich noch Margarine und Brot kaufen wollte… Ich komme an einer Bushaltestelle vorbei und habe Glück, denn der Bus hält gerade. Ich kaufe mir ein Ticket – das kann ich ja schon: „un boleto, por favor“ – und falle völlig fertig auf einen freien Sitz. Es dauert nicht lange, da bemerke ich, dass ich in den falschen Bus eingestiegen bin und drücke auf den Haltknopf. Mein Weg nach Hause ist jetzt etwas länger! Aber wenigstens scheint die Sonne…!

Solche Tage gab es in der Vergangenheit öfter! Es lässt sich jedoch erkennen, dass diese, wenn auch recht langsam, immer seltener werden. Zuletzt ist es mir sogar gelungen, in einem Reformhaus Salbeitee und Hefe zu kaufen, in einer Apotheke bin ich ausführlich beraten worden über verschiedenste Cremes für Neurodermitiker und mittlerweile kaufe ich mindestens einmal in der Woche ein Kilo Hackfleisch, und das sogar beim Metzger meines Vertrauens! Dass ich hier und da noch ein paar Misserfolge durchlebe, haut mich jetzt nicht mehr um und es gelingt mir zunehmend, das alles etwas amüsanter zu sehen. So habe ich doch kürzlich im Elektrofachgeschäft nach aufladbaren Batterien gefragt. Ich habe sie auch bekommen, aber erst nachdem ich meine Wortwahl korrigiert hatte, denn statt „pilas cargable“ hatte ich zuerst nach „piletas cargable“, aufladbare Schwimmbäder, gefragt!

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