Donnerstag, 26. Juni 2008

Paso Flores Teil 2

Gehen wir weiter der Frage nach, "Wo eigentlich das Sauerkraut herkommt?" (siehe Paso Flores Teil 1). Die Pforzheimer Gruppe gläubiger Menschen befand sich weiter auf der Suche nach einem neuen Ort in einem anderen Land, an dem sie sich ein neues Leben aufbauen konnte, im Einklang mit den Aussagen der Bibel. Lange hatte man vergeblich Anzeigen in Zeitungen verschiedenster Länder aufgegeben, Kontakte zu Staaten gesucht, von denen man wusste, dass sie Imigranten aufnehmen. Die Erinnerungen an den Krieg jedoch waren noch recht frisch und so wollten viele mit deutschen Einwanderern nichts zu tun haben. Bis eines Tages ein englischer Seemann in einer Londonder Kneipe eine ihrer vielen Anzeigen in einer Zeitung las. Er schickte einen anonymen Brief an die Gemeinschaft mit der Information, dass die englische Regierung auf der Suche sei nach Arbeitskräften zum Aufbau der Infrastruktur auf den Falklandinseln sei. Schnell war der Kontakt hergestellt und so reiste einige Zeit später ein Teil der Gruppe, ungefähr 45 an der Zahl, auf die Falklandinseln. Unter ihnen der sechsjährige Klaus mit seinen Eltern und zwei seiner Brüder, während die zwei anderen erst einmal in Deutschland blieben. Sie arbeiteten fortan im Straßenbau, ihnen war jedoch zu jeder Zeit klar, dass die Islas Malvinas (Falklandinseln) nicht das Endziel sein konnten. Der Aufenhalt wurde nicht allen, sondern nur gesunden und arbeitstüchtigen Männern mit ihren Familien gewährt, was natürlich nicht ihrem solidarischen Grundgedanken entsprach, schließlich zählten auch körperlich behinderte und kriegsversehrte Menschen zur Gemeinschaft. Diese und weitere Umstände führten dazu, dass sich gegen Ende des zweiten Arbeitsjahres auf den Falklandinseln etwa zehn Männer auf die Reise Richtung Argentinien begaben, um eine endgültige Bleibe für alle Mitglieder der Gemeinschaft zu finden. Da die diplomatischen Beziehungen zwischen den Falklandinseln, die ja unter englischer Administration standen, und Argentinien, das Anspruch auf die Inseln erhob, sehr schlecht waren, musste man über Umwege nach Argentinien einreisen. Während eines halbjährigen Zwischenstopps in Uruguay wurde auf Feldern und Bauernhöfen gearbeitet, um weiter Geld für das zukünftige Projekt zu sammeln. Die Suche nach einer passenden Bleibe wurde dann in der Hauptstadt Argentiniens fortgeführt. Zwischenzeitlich arbeitete man dort als Reinigungskräfte im deutschen Krankenhaus von Buenos Aires. Man riet ihnen, ihr Glück doch mehr im patagonischen Süden des Landes zu versuchen. Das Klima wäre dem mitteleuropäischen sehr ähnlich, und schon andere Europäer hätten sich bereits dort niedergelassen. Gesagt, getan, so erreichte man gegen Ende der fünziger Jahre die Stadt Bariloche. Die Suche vor Ort und Mund-zu-Mund-Propaganda ließen erste Hoffnungen keimen, man erfuhr, dass Doña McDonald ihre Estancia "Paso Flores", etwa 80 Kilometer nördlich von Bariloche gelegen, zum Verkauf anbot. Ein vielversprechender Lichtblick, denn vor Ort schien alles wie für sie gemacht, und so wurde der Traum vom Leben außerhalb Deutschlands endlich für alle Mitglieder der Gemeinschaft Wirklichkeit. Eine neue Eappe begann. Alles war fremd, das Land, die Leute, die Sprache, doch zumindest waren jetzt alle wieder vereint, insgesamt rund 100 Menschen fanden in Patagonien ein neues Zuhause.

Übrigens: Als wir dort zu Gast waren, jährte sich dieses Ereignis auf den Tag genau zum 50sten Mal.

Fortsetzung folgt ...

Dienstag, 24. Juni 2008

DU BIST DEUTSCHLAND

Wer erinnert sich nicht an die große Imagekampagne aus dem Jahr 2005, die ihren vorläufigen Höhepunkt zur WM im Jahr 2006 erlebte. Deutsche sangen sogar wieder stolz die Nationalhymne.

Letztens haben wir auf Deutsche-Welle-TV eine ZDF-Reportage gesehen, die eigentlich auch zur Kampagne gehören müsste. Denn auch das ist Deutschland: Zoff am Gartenzaun. Nachbarschaftsstreitigkeiten um nichts und wieder nichts, eine furchtbare Reportage über das andere Deutschland. Schade. Eigentlich hatten wir uns schon ein bisschen auf die Rückkehr gefreut.

Donnerstag, 19. Juni 2008

Saca todo Mertesacker!


3 zu 2 gegen die favorisierten Portugiesen im Viertelfinale! Ballack, Poldi, Klose und besonders Schweini haben gezaubert und Deutschland ins Halbfinale geschossen. Geackert hat aber vor allem einer, und das nicht wenig: Mertesacker, der in der deutschen Abwehr so ziemlich alles abräumte. Und genau dieser Mertesacker ist bei spanischsprachigen Kommentatoren extrem beliebt, da wird aus Mertes-acker nämlich Merte-sacker, da sie die Silbentrennung nach Merte- vermuten. Und das reimt sich gut auf saca in "Saca todo Merte-sacka", was im spanischen Fußballjargon so viel heißt wie "Mertesacker räumt alles ab". Und so wurde der Unfehlbare eben zum Running Gag der Kommentatoren auf ESPN und ESPN+ - die uns jedes Spiel der Eurocopa live und doppelt und dreifach ins Haus bringen -, weil die Portugiesen unseren Mertesacker eben gut beschäftigten.

VIVA ALEMANIA! VAMOS ALEMANIA!

Der erste Schnee

Die Sonne schien, doch Winters Näh’
Verrieth ein Flockenpaar;
Es gleicht das erste Flöckchen Schnee
Dem ersten weißen Haar.





Noch wird — wie wohl von lieber Hand
Der erste Schnee dem Haupt —
So auch der erste Schnee dem Land
Vom Sonnenstrahl geraubt.


Doch habet Acht! mit einem Mal
Ist Haupt und Erde weiß,
Und Freundeshand und Sonnenstrahl
Sich nicht zu helfen weiß.


Theodor Fontane




Montag, 16. Juni 2008

Si todo va bien ...

... sagt man hier in Argentinien, wenn alles gut geht, da es schon mal leicht zu Unregelmäßigkeiten kommt. Oder: Si dios quiere, so Gott will ... kann man zum Beispiel die 2700 Kilometer von Asunción nach Bariloche in knapp drei Tagen schaffen - und zwar per Flugzeug! Unglaublich, aber wahr! Die Paraguayisch-Argentinische Deutschlehrertagung hatte mich in die Hauptstadt Paraguays geführt. Auf dem Hinweg gings per Flieger nach Buenos Aires und dann 23 Stunden per Bus nach Asunción, was eigentlich auch nur 16 Stunden dauern sollte. Aber die erneuten Protestaktionen der Bauernverbände - Straßenblockaden der wichtigsten rutas in den landwirtschaftlich bedeutenden Provinzen - sorgten bereits für 6 Stunden Verspätung.

Während der Woche hatte sich der seit März schwelende Konflikt zwischen Bauern und Regierung erneut zugespitzt, das Argentinische Tageblatt berichtete bereits von Rationalisierungen der Lebensmittel in den Supermärkten. Auslöser sind die im März beschlossenen massiven Erhöhungen der Exportsteuern, beispielsweise auf Soja, eines der wichtigsten Exportgüter. Weiter heißt es in der Ausgabe vom 7.6.2008:
"'Bis die Bauern und die Regierung den Dialog nicht wieder aufnehmen und wir nicht wieder arbeiten können, werden wir die Straßen blockieren.' Dies teilten die Lastwagenfahrer verschiedener Transportunternehmen von Getreide mit. 'Wir werden die Sperren nicht wie die Bauern aufheben, um zu verhandeln. Wir heben sie erst dann auf, wenn das Problem gelöst ist.' Klare Worte. Das ist eine überraschende Wende im seit rund drei Monaten andauernden Konflikt. Ein neuer Sektor protestiert – und verschärft die Krise." (AT Nr. 31.670)
Die Bauern kämpfen gegen die Regierung, die Spediteure protestieren gegen die Bauern, da sie durch deren Streik keine Aufträge mehr bekommen.
"Jeder beschuldigt den Anderen: Die Landwirte machen die Regierung für ihre Unfähigkeit zum Dialog dafür verantwortlich, dass die Transportfahrer nun ebenfalls protestieren. Der Innenminister Florencio Randazzo nannte die Bauern 'autoritär und intolerant'. Und jetzt hat sich zudem die Kirche zu Wort gemeldet. Die Bischöfe versammelten sich am Donnerstag zu einer außerordentlichen Sitzung und teilten darauf in einer Pressekonferenz ihre Angst um den Landesfrieden mit. Die Bischöfe baten dringend darum, dass die Regierung 'Größe zeige' und einen Dialog mit den Bauern führe." (AT Nr. 31.670)
Zu allem Überfluss hatte die Regierung die Situation auch noch mit der kurzzeitigen Verhaftung eines Streikführers verschärft, viele Leute in Buenos Aires machten ihrem Unmut vor dem Regierungspalast casa rosada lauthals Luft. Zum Wochenende hin kam es dann zu ausgedehnten Protesten und Blockaden der wichtigsten Verkehrswege in den Provinzen Entre Rios, Corrientes, Santa Fe, im Chaco und in der Pampa. Die Ereignisse hatten natürlich direkte Auswirkungen auf unsere Rückreise am Samstag, der erste Start unseres Busses endete bereits nach zwei Stunden an der Grenze nach Argentinien, weiterfahren sinnlos. Wir wurden nach Asunción zurück gefahren und kurzfristig in einem Hotel untergebracht, um der Dinge zu harren, die da kommen würden. Meine meist argentinischen Mitfahrer nahmen's mit südamerikanischer Gelassenheit und freuten sich auf eine ruhige Nacht. Si todo va bien ... können wir morgen (sonntags) weiterfahren, die meisten Kollegen würden ohnehin noch rechtzeitig zum Schulbeginn in Buenos Aires eintreffen, da am Montag Feiertag war, nur ich hatte leider ein Rückflugticket von Buenos Aires nach Bariloche im Gepäck, für Sonntagnachmittag!

LAN Argentina strich dann zwar einfach mal fünf Flüge auf zwei zusammen und verschob meinen Flug auf Montagmorgen 7.20 Uhr, aber auch dieses Zeitpolster würde nicht ausreichen. Also griff ich notgedrungen ins Portemonnaie und flog gestern, am Sonntag, mit TAM von Asunción nach Buenos Aires, der Spaß kostete mich 300 USD. Damit war aber erst ein Teil des Problems gelöst, denn die für sonntags waren alle Flüge nach Bariloche cancelado, gestrichen worden, wahrscheinlich wegen des Vulkanstaubs (siehe Chile lässt Dampf ab). Heute morgen - bereits den Boarding Pass in der Hand - bekam ich am Gate (!) die Info, dass erst um 7.20 Uhr entschieden würde, ob sie fliegen könnten oder eben nicht. Aha. Argentinien eben. Aber dios me queria volar und ich flog mit etwas Verspätung tatsächlich heim nach Bariloche. Todo va bien.

Freitag, 6. Juni 2008

Wo kommt eigentlich das Sauerkraut her? - Paso Flores Teil 1

Wenn das Heimweh unser Gemüt beschwert, das Bife de Chorizo kurzfristig an Attraktivität verliert und man sich Currywurst rot-weiß oder Döner herbei sehnt, dann steigen hier - 12.000 Kilometer weitab von heimischen Gefilden - die Bemühungen, Schätze der deutschen Esskultur zu erstehen und werden durchaus von Erfolg gekrönt. Neben Gulasch con Spatzle, Strudel de manzanas (Apfelstrudel) und salchichas tipo aleman (deutsche Bratwürstchen), die man hier in vielen Restaurants bestellen kann, ist das Chucrut (Sauerkraut) hier ein absoluter Renner. Wenn wir in der Stadt an einem der wenigen Geschäfte vorbei gehen, das im Schaufenster ein Schild mit der Aufschrift Hay chucrut! (es gibt Sauerkraut) hängen hat, kommen auch wir zuweilen in Versuchung, ein Pfund mitzunehmen. Der Großteil des Chucrut, das hier verkauft wird, kommt aus Paso Flores. Durch die deutsche Gemeinschaft hier in Bariloche hatten wir schon viel davon gehört, konnten uns aber eigentlich nie etwas darunter vorstellen. Die erste und einzige Assoziation beim Hören dieses Namens war bei uns stets, dass es sich dabei um die Leute handeln müsse, die für die ganze Region das Sauerkraut machen. Aber, wer oder was war Paso Flores wirklich? … Es sei schön dort und eine Reise wert, so sagte man uns auf Nachfragen. Neugierig und ein wenig alltagsmüde machten wir uns dann Ende April auf den Weg nach Paso Flores. Ein verlängertes Wochenende stand an und mit zwei argentinischen Journalisten im Schlepptau (die ebenso, wenn nicht noch neugieriger waren als wir) sollte es möglich sein, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.

Nach einer etwa zweistündigen Fahrt an der Talsperre Embalse de Piedra de Aguila, danach links und dann 36 km auf unbefestigten Pisten gerade aus durch die patagonische Steppe ... und irgendwann erhebt sich aus dem Nichts die Estancia Paso Flores. Sowohl in deutscher als auch spanischer Sprache wird man willkommen geheißen. Das Gelände gleicht einem Kloster, einer Jugendherberge, einem Bauernhof und einer Begegnungsstätte zugleich. Ein Spaziergang auf dem Gelände, vorbei an Gemüsegärten, Ställen, Weiden, lässt uns an das friedliche Leben der Familie Ingalls (Unsere kleine Farm) erinnern. Sogar ein eigener Friedhof zeugt von der Autonomie und Abgeschiedenheit dieses Ortes. Nach dem Mittagessen haben wir die Möglichkeit, mit Klaus zu sprechen. Klaus hat Deutschland im Alter von 6 Jahren zusammen mit seiner Familie verlassen, das war Mitte der fünfziger Jahre. Nach dem Krieg hatte sich in Pforzheim eine Gruppe gläubiger Menschen gebildet, die aber durch die vergangenen Jahre den Glauben an die Kirche verloren hatte, der Bibel jedoch als Grundlage ihres Glaubens und Lebens treu bleiben wollten. Da man immer mehr erkannt hatte, dass ein Leben in Deutschland nicht mit diesen Überzeugungen zu vereinbaren sei, verspürte man immer mehr den Wunsch Deutschland zu verlassen. Das war die Idee, die Umsetzung blieb jedoch erstmal ein Traum. Verschiedenste Versuche, in anderen Ländern Arbeit und eine neue Heimat zu finden, schlugen fehl. Die Menschen aus Pforzheim begegneten viel Misstrauen und Unglauben, so traf man sich weiterhin regelmäßig zu gemeinsamen Bibelstunden in der Konditorei von Klaus' Vater. Bis eines Tages ein englischer Seemann in einer Londoner Zeitung ihre Anzeige las ...

Fortsetzung folgt