Montag, 26. Januar 2009

Feindseligkeiten

Will man Feuerland besuchen, also die südlichste Republik Argentiniens, stehen Strapazen und langwierige tramites (Behördengänge, Papierkram) auf dem Reiseprogramm, die dazu führen, dass ein jeder sich die Reise gut überlegen und abwägen sollte, den Stress mitzumachen. Dies ist dem Umstand zu verdanken, dass sich zwischen der Insel Feuerland und dem argentinischen Festland chilenisches Festland befindet, das es zu passieren gilt, wenn man zum Beispiel die angeblich südlichste Stadt der Welt, Ushuaia, besuchen will. Passieren heißt in diesem Fall:

  1. Ausreisen aus Argentinien
  2. Einreisen in Chile
  3. Fährfahrt über die Magellanstraße
  4. Ausreichen aus Chile
  5. Einreisen in Argentinien

Deshalb ist es kein Wunder, dass man für die Fahrt von 600 km ungefähr 13 Stunden braucht, denn die halbe Zeit steht man an der Grenze.

Auf unserer Reise konnten wir wieder einmal nur staunen, wie groß der Mentalitätsunterschied zwischen Argentiniern und ihren chilenischen Nachbarn tatsächlich ist. Gehört und gelesen haben wir so einiges über die seit Ewigkeiten herrschende Feindschaft zwischen den Ländern. Ähnlich wie die nicht ganz ernst zu nehmenden Floskeln der Deutschen über die Niederländer oder die berühmte Städtefeindschaft zwischen Köln und Düsseldorf hielten wir die gegenseitigen Behauptungen über Chilenen und Argentinier für harmlos und abseits jeglicher Realität. Doch während unseres Aufenthalts in Südamerika stießen wir zu unserem Erstaunen hier und da auf hinreichende Hinweise, dass dieser Dorfklatsch durchaus seinen Anspruch auf Wahrheit verteidigen kann.

Die Argentinier seien arogant, faul, überheblich und würden den lieben langen Tag kein Werk geschafft bekommen. Während die Argentinier sich zum Abendessen zu Tisch setzten, schlafen die Chilenen schon tief und fest, um am nächsten Morgen pünktlich und tatkräftig ihr Tagwerk zu beginnen. Zu dieser Zeit dann dreht der Argentinier sich noch einmal genüsslich im Bett um, um dann später irgendwann bei der Arbeit zu erscheinen. Wenn der Argentinier dann einmal dort ist, bekommt er sowieso nichts Vernünftiges auf die Reihe. Daher wird zunächst mal Mate getrunken und über alles Mögliche geredet. Wenn es dann ans Arbeiten geht, so würde dies mit einer Langsamkeit vor sich gehen, die an das Leben eines Faultieres erinnert. Dennoch, die Argentinier sind stolz auf ihre Nation, ihre ausgesprochene Feierlaune und schütteln fast schon mitleidig den Kopf, wenn sie an das Volk jenseits der Anden denken. Die Chilenen seien humorlos und Lebenslust für sie ein Fremdwort. Ausgelassen feiern, tanzen und sich allein des Daseins erfreuen scheine für sie eine Sünde. So erinnert wohl auch ein gern und oft genutzter Spruch für Poesiealben an diesen Kontrast:

"Sei wie das Veilchen im Moose, sittsam bescheiden und rein. Nicht wie die stolze Rose, die stets bewundert will sein."

Wir wundern uns hier und da, wenn zum Beispiel die Argentinier in ihrem Urlaub an den schönsten Orten des Landes stets sich in den Fokus der Fotokamera setzten. Wie oft haben wir erlebt, wie vor wunderschöner Natur endlos lang posiert, ja sogar die Garderobe gewechselt, noch einmal gekämmt und geschminkt wurde.

Ein weiteres Indiz für das gesunde Selbstbewusstsein der Nation scheinen die in jeder Stadt und in jedem Dorf befindlichen Kriegsdenkmäler zu sein. Auch hier wird posiert, diesmal jedoch vor ungewollt hässlicher Kulisse. Hier die Nachbildung eines Kampfjets, dort eine Gedenktafel und etwas weiter ein paar Soldatenstatuen. Es scheint, als ob sie nach Ende des Falklandkrieges im Juni 1982 wie Pilze aus den Boden geschossen seien. Warum? Wahrscheinlich um dem Ego der Argentinier wieder auf die Sprünge zu helfen, hatten sie den Krieg ja schmählich verloren, und man sagt, dies sei nicht zuletzt auch auf militärische Selbstüberschätzung zurückzuführen. (Ein Gutes hatte der Krieg zumindest: Die seit 1976 grausam herrschende Militärjunta fand dadurch ihr jähes Ende und machte den Weg frei für Gerechtigkeit und Demokratie - oder so ähnlich...).

Dennoch bleibt das Selbstbewusstsein der Argentinier ungebrochen. Die Chilenen scheinen nicht ganz Unrecht zu haben. Fragten wir zum Beispiel einen Argentinier nach dem Weg, so gab es immer eine Antwort. Oft war die Beschreibung falsch, aber ein Argentinier würde sich wahrscheinlich eher die Zunge abbeißen als zugeben zu müssen, das er es nicht wisse - selbst, wenn es nur um die Frage nach dem Weg geht.

Will man eine Dienstleistung in Anspruch nehmen und spricht auf den Anrufbeantworter einer Schreinerei, beim Arzt oder der Autowerkstatt, so sollte man niemals mit einem Rückruf rechnen. Will man etwas erledigt haben oder in Auftrag geben, so muss man hartnäckig sein und immer wieder Präsenz zeigen. Von alleine kommt der Argentinier dem Kunde niemals entgegen. (Man könnte gemein behaupten, dass der Kunde ihn vom geselligen Mate Trinken abhalte, von daher halte er sich die Kunden stets auf Abstand). Als Kunde bleibte einem da nur Geduld und Ausdauer. Mit böser Miene oder Unzufriedenheit ist einem nicht geholfen.

So auch beim täglichen Einkauf im Supermarkt. Es scheint, als möge die Kassiererin jedes einzelne Produkt auf dem Förderband persönlich begrüßen, so langsam und behutsam geht sie mit Mehl, Nudeln und Schokolade um. Danach noch mit jedem Kunden ein Schwätzchen über Wetter, Kinder oder das gerade gekaufte Produkt ("Ist das wirklich so teuer? Unglaublich"). Dabei bringt sie nichts aus der Ruhe, nicht die lange Schlange, nicht die zu wechselnde Kassenpapierrolle, und auf "Ich-habe-es-eilig"-Bekundungen schon gar nicht.

Zusammengefasst: Es scheint die Gerüchte über die Argentinier beinhalten einen Hauch Wahheit. Die Grenzformalitäten während unserer Fahrt nach Feuerland machen dies deutlich. Auf chilenischer Seite geschieht alles meist zu einem Bruchteil der Zeit, die wir auf argentinischer Seite stehen... und in der Regel doppelt so lange warten.

Wir treffen im Hotel in Rio Gallegos auf die argentinische Hotelbesitzerin, die erst vor drei Jahren wieder herübersiedelte, diesmal mit ihrem chilenischen Mann. Auch sie bestätigt diesen Kontrast, obwohl als Kind selbst in Argentinien aufgewachsen, sei es jetzt oft noch schwierig, sich wieder an die argentinische Langsamkeit zu gewöhnen. Alle Prozesse dauerten schier ewig, alles gehe nur über Freunde oder lange Umwege und ende nicht selten im Chaos. Dass das Hotel unter chilenischem Einfluss steht, bekommen wir am nächsten Morgen zu spüren. Mit Blick auf die Uhr (sie zeigt Fünf nach Zehn), zögert der Angestellte mit der Ausgabe des Frühsück. 'Schließlich sei die Zeit dafür ja schon vorbei.'

Auf die große Frage nach dem "Warum" dieser Unterschiedlichkeit und Feindseligkeit zwischen Argentiniern und Chilenen, kann uns keiner eine genaue Auskunft geben. Es heißt, die Anden seien immer schon eine große und hinderliche Barriere gewesen, den Nachbarn kennenzulernen. Das sei immer nur mit großem und beschwerlichen Aufwand verbunden, den man nur selten auf sich nähme. Auch im Zeitalter der Autos, Busse und trotz asphaltierter Straßen scheint dieses Gespenst irgendwie weiterzuleben. Warum sonst werden am Abend pünktlich um acht Uhr die wenigen Grenzpässe geschlossen und erst morgens um acht Uhr wieder geöffnet?

Weiterführende und aufschlussreiche Artikel findet man hier:

Samstag, 24. Januar 2009

Hundstage in Patagonien

Es ist viel los in der Welt. Obama ist endlich - und diesmal mit den richtigen Worten - auf seinen Job eingeschworen worden, die argentinische Präsidentin zeigt sich in diesen Tagen jedoch lieber auf Kuba und mit Venezuelas linkem Agitator Chávez (siehe Links unten), und in Patagonien erleben wir richtige Hundstage auf argentinisch, den heißesten Tagen seit Beginn der Aufzeichnungen der hiesigen Wetterdaten im Jahr 1923. Just als wir - mal wieder (siehe Post vom 27.05.08) - in Las Grutas (Die Grotten) Halt machen, werden dort Rekordtemperaturen von 43,7 Grad Celsius gemessen. Die heißgekochte Suppe in unseren Köpfen können wir im atlantischen Meer gerade noch annähernd auf Körpertemeperatur herunterkühlen, und am Strand von Las Grutas, der durch die felsige Küste auf wenige hundert Meter begrenzt ist, tummeln sich die Urlauber wie Ameisen im Sand und im Wasser, seht euch das Foto oben aus der Zeitung Río Negro an. Unser Lieblingsplatz ist daher eine kleine, ruhigere Strandbar mit super Ausblick an der Bajada 28 de Febrero (siehe Fotos im Album "Las Grutas"). Ein paar passende Artikel gibts hier:

Freitag, 16. Januar 2009

Das teuerste Restaurant Argentiniens

Das Restaurant Milliways am Ende des Universums gilt laut Douglas Adams als "eine der außergewöhnlichsten Unternehmungen in der gesamten Geschichte des Gaststättengewerbes", das Kaupé dürfte demnach sicher als das teuerste Restaurant am Ende der Welt gelten, genauer in Ushuaia, der Hauptstadt der argentinischen Provinz Tierra del Fuego, die sich mit vielen anderen Orten um den Titel "Südlichste Stadt der Welt" streitet. Das Kaupé rühmt sich wie viele Gaststätten in Ushuaia mit den besten Königskrabben - und wird vom Lonely Planet empfohlen. Die Königskrabben waren ausgezeichnet - und ebenso königlich teuer. Das Hauptgericht Centolla Kaupé kostete 88 Pesos, mit einem Spinatpuder gar 90 Pesos. Die Fotos auf dieser Seite (einzelne Gerichte anklicken) geben einen originalgetreuen Eindruck der bescheidenen Portionen wieder, edel ist eben nur, was rar ist. Fazit: Geschmeckt hat es, und der Service war auch ausgezeichnet, wie wir es bisher in keinem argentinischen Restaurant erlebt haben. Und das kostet eben seinen Preis. Nur, während wir gegenüber den Preisen im Reiseführer aus dem Jahr 2006 eine durchschnittliche Preissteigerung von 80 bis 100 Prozent feststellen können, sind die Preise im Kaupé mal eben um rund 150 Prozent gestiegen. Weitere Kommentare erübrigen sich, nachdem auf der Rechnung auch noch je 6 Pesos für's Gedeck auftauchten.

Post scriptum: Heute Abend hatten wir in Puerto San Julián leckere Tintenfischringe als Vorspeise, ein Milanesa mit Papas fristas und ausgezeichnete Tallarines mit frischen Meeresfrüchten, dazu Getränke, eine Nachspeise hat nicht mehr gepasst. Gesamtpreis: 87,50 Pesos. Das Restaurant Naos findet man ganz leicht am Hafen rechts (Straße 9 de Julio und Mitre).

Sonntag, 11. Januar 2009

Tierische Clowns

An vielen patagonischen Küstenabschnitten kann man sie finden. Die berühmteste Kolonie lebt am Punta Tombo, circa 60 Kilometer südlich der Industriestadt Rawson. Dort brütet in den Sommermonaten eine halbe Million der Art Magellan-Pinguin (Spheniscus magellanicus). Wir entscheiden uns jedoch einen anderen, touristisch nicht so überlaufenen Ort zu besuchen, die Cabo dos Bahias, um diese netten Artgenossen zu sehen. Suchen muss man sie dort auch nicht, denn schon am Parkplatz präsentieren sich die kleinen Spaßvögel zahlreich. Die meisten stehen regungslos und hochschnabelig der Sonne zugeneigt und zeigen kein besonderes Interesse an uns Zweibeinern. Die Sonne, die Luft und das Meer scheinen sie vollends zu genießen, sie wirken rundherum zufrieden, entspannt und Daseins-bejahend, dass man sich wünscht, ein Pinguin zu sein. Der Schein zu Anfang trügt jedoch etwas. Ein paar Schritte weiter eröffnet sich das, was zunächst wie eine Massendemonstration von Charlie-Chaplin-Fans aussieht. Hat sich das Auge jedoch an die Weite gewöhnt, erkennt man eine schier unendliche Pinguin-Metropole, aus der es stetig quietscht, schmatzt, brummt und knurrt. Man läuft durch diese Kolonie im Schneckentempo, schafft es kaum seine Augen auf den wackeligen Steg zu richten, so viel gibt es zu sehen und zu entdecken. Es kommt einem vor, als betrachte man ein großes Wimmelbild: Hier werden die Federn des einen gesäubert, dort werden Junge gefüttert, weiter hinten streiten sich zwei andere Pinguine. Dabei scheint es um etwas Ernstes zu gehen, denn die beiden gehen mit größter Brutalität aufeinander zu und schlagen sich - klappklappklapp - mit ihren Flügeln. Andere wiederum zeigen dann doch einen Anflug von Neugierde und betrachten uns eindringlich, als ob Außerirdische auf ihrem Planeten gelandet seien. Bei allem was sie tun - sei es gehen, stehen, laufen, streiten, putzen oder essen - wirken die kleinen Tiere so tollpatschig, plump und ungeschickt, dass die bloße Beobachtung eine wahre Freude ist und jedem Besucher ein Lächeln entlockt. Hier und da passieren Missgeschicke, die mit jedem Video von „Pleiten, Pech und Pannen“ mithalten könnten. Mehrmals beobachten wir, wie Pinguine stolz und aufrecht einen Berg erklimmen, um sogleich mit voller Kraft gegen den gespannten Besucherzaun zu prallen. Hier und da stoßen zwei zusammen und oder fallen zu Boden, was ihnen jedoch Nichts auszumachen scheint, denn sofort geht man seines Weges weiter, als ob nichts gewesen wäre. Das Agieren zu Land scheint derartig unökonomisch und aufwendig zu sein, dass ich mich fragen muss, ob es nicht furchtbar anstrengend und nervig sein muss, in solch einem Körper geboren zu sein. Informationsschilder belehren uns jedoch, dass sich die Pinguine Studien zufolge auch an Land geradezu ökonomisch effizient fortbewegen.

Ist man am Aussichtspunkt auf die Küste angelangt, wendet sich das Blatt drastisch, und die Herrschaften zeigen ihre Königsdisziplin: Man muss schon genau hinschauen, um die flinken Vögel im Wasser nicht mit Delfinen zu verwechseln. Wie in einem Rennen um Leben und Tod rasen immer wieder kleine Grüppchen auf den Strand zu, zu gleichen Teilen in der Luft und im Wasser. Man kann es kaum glauben, wie aus den behäbigen Wonneproppen auf einmal wendige Schwimmer werden können. Welch eine Verwandlung!

PS: Eine weitere interessante Beobachtung betrifft das Verdauungsverhalten. Die Ausscheidung geschieht mit einer derartigen Geschwindigkeit, dass man bei dem dabei entstehenden Geräusch an eine Feuerwerksrakete denken muss. Dies hat auch schon Forscher neugierig gemacht. Tatsächlich gibt es eine preisgekrönte Forschungsarbeit mit dem stolzen Namen: "Pressures Produced When Penguins Pooh".




Montag, 5. Januar 2009

Über den Wolken

Lange hat sich hier nichts getan, wird Zeit, dass wir mal wieder vom Ende der Welt berichten. Aber nicht aus Bariloche, das ja eigentlich noch zarte 2000 Kilometer vom Ende der Welt entfernt ist, sondern vom richtigen Ende, dem Feuerland, dem wir uns mehr und mehr nähern. Vor rund zwei Wochen sind wir in unsere verdienten Sommerferien aufgebrochen, haben erstmal Weihnachten am Strand verbracht, in Playas Doradas, einem Kaff ohne Handy und Telefon. Dann haben wir uns auf den Weg gen Süden gemacht, noch mal über die Halbinsel Península Valdéz (UNESCO Welterbe, siehe Post "Wale"), haben am Cabo Dos Bahías im Nirgendwo Patagoniens in Containern übernachtet, sind insgesamt 1000 Kilometer an der Atlantikküste entlang bis Puerto San Julian gefahren, um dann rechts ins Nirgedwo abzubiegen und 400 Kilometer durchs Nirgendwo Patagoniens zu fahren. (Siehe auch Post "La Ruta 40".)

Mittlerweile sind wir in El Chaltén angekommen, einem bei Bergsteigern und Bergwanderern beliebten Örtchen nördlich der berühmten Gletscher im Nationalpark Los Glaciares. Und genau hier versteckte sich über den Wolken lange Zeit der Cerro Fitz Roy. Gestern im Trockenen mit dem Zelt losgezogen, um ihm näher zu kommen, sind wir nachmittags erstmal pitschnass geworden, haben abends bei Schneeregen die Laguna de Los Tres erklommen, die den besten Blick auf den Berg bietet..., wenn der Berg denn will (Fotos unten: ein Blick von der Laguna de Los Tres (rechts) auf die Laguna Sucia = schmutzige Lagune). Erst heute morgen haben wir ihn dann gesehen, von ein paar Sonnenstrahlen umspielt und verrückten Wolken, die dort glaube ich produziert werden (Foto oben rechts). Auf dem Weg zum ebenfalls grandiosen Cerro Torre haben sich dann schon wieder Regenwolken zusammengebraut und wir sind mit den ersten Tropfen zurück nach El Chaltén geflüchtet. Morgen geht´s weiter nach El Calafate, um den Gletscher Perito Moreno kalben zu sehen.