Sonntag, 28. September 2008

Antisemitismus heute

"Aktionstag gegen Antisemitismus und Diskriminierung" von INADI und Museo del Holocausto

Bariloche. Der Saal der Bibliothek Sarmiento in San Carlos de Bariloche, gleich neben dem Centro Cívico, fasst 140 Plätze. An diesem Abend des 23. September drängen rund 200 Menschen auf Einlass, sie füllen die Gänge, setzen sich auf den Boden und drücken sich in jede Nische. Graciela Nabel de Jinich, Direktorin des Museo del Holocausto in Buenos Aires, ist hoch erfreut über den großen Zuspruch, aber nicht nur an diesem Abend, sondern auch und ganz besonders freut sie sich über die Teilnahme der vielen Schülerinnen und Schüler an den beiden Vorführungen im örtlichen Kino, sagt sie den versammelten Gästen. Mit eindringlichen Worten begrüßt sie die Anwesenden, die ebenso wie alle Menschen auf der Welt dazu verpflichtet seien, die Erinnerung an den Holocaust wach zu halten. Das Grauen jener Zeit dürfe nicht in Vergessenheit geraten, mahnt sie, es dürfe weder geleugnet noch marginalisiert werden.

Anlass ihres Besuchs in Bariloche ist die landesweite Vorführung des Dokumentarfilms "Mujeres de la Shoá" am "Tag gegen Antisemitismus und Diskriminierung", der gemeinsam organisiert wurde vom INADI in Río Negro (Staatliches Institut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus), der israelischen Gemeinschaft, der Universidad Nacional de Comahue, der Stadtverwaltung Bariloche und der Ökumenischen Forum der deutschen Gemeinschaft. Der Film stellt ein ergreifendes Dokument der Zeitgeschichte dar, das an der Universidad Nacional de la Matanza entstand. Sechs Frauen, die den Holocaust überlebten und heute in Argentinien leben, erzählen darin von ihrem Schicksal zurzeit des Nationalsozialismus in Deutschland, erzählen von ihren Erinnerungen, Erinnerungen an die Diktatur, die Judenverfolgung, die Einsperrung in Ghettos, die Arbeitslager und die Massenvernichtungen, und sie erzählen von ihren ganz persönlichen Gefühlen und Verletzungen, die diese Zeit hinterlassen hat, in der die meisten von ihnen ihre Familie verloren haben, aus der sie befreit wurden, ohne zu wissen, wie es weitergehen sollte. Als die Russen das Lager befreit hätten, sagt eine von ihnen im Film, und sie zum Tor hinauswiesen, sie seien nun frei und könnten gehen, hätte sich niemand getraut, auch nur einen Fuß in Richtung jenes Tores zu setzen, durch das monate- und jahrelang nur Juden herein gekommen waren, aber nie einer lebend heraus. "Der Antisemitismus ist auch heute noch ein aktuelles Thema, leider, in Deutschland und in anderen Teilen der Welt", pflichtet Jan Freigang, Referent für Politik der Deutschen Botschaft Buenos Aires, der Direktorin in seiner Ansprache bei. Er richtet allen Anwesenden die Grüße des neuen deutschen Botschafters in Argentinien, Günter Kniess, aus. In Anbetracht der Vergangenheit bestehe insbesondere für alle Deutschen die besondere Verantwortung, die Erinnerung zu bewahren, den Dialog zu suchen und ihre Stimme zu erheben gegen jede Form der Diskriminierung, der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus.

In Bariloche sehen an diesem Tag über 1000 Schüler nahezu aller staatlichen und privaten Schulen die Vorführungen um 9 Uhr und um 14 Uhr, anwesend sind die staatlichen Schulen CEM 37, 77, 97, 99, 104, 138 und wahrscheinlich noch viele mehr, des Weiteren die Privatschulen Antú Ruca, Castex, Don Bosco, San Esteban und die italienische und englische Privatschule Dante Alighieri und Woodville. Eröffnet werden die Filmvorführungen von der Direktorin des Holocaust-Museums Buenos Aires, dem Referenten für Politik der Deutschen Botschaft Buenos Aires, dem israelischen Honorarkonsul für Río Negro, Neuquén Chubut und Santa Cruz, Hernando Grosbaum und dem deutschen Honorarkonsul von Bariloche, Gerardo Borchert. Auf der Tagesordnung stehen außerdem Workshops und Fortbildungen am Institut für Lehrerbildung und der Universität Comahue, an der 200 Lehrer und Studenten teilnehmen, gehalten von der Direktorin des Holocaust-Museums, dem Dekan der Fakultät für Geisteswissenschaften, Pedro Barreiro, und der Koordinatorin der Geschichtsabteilung, Laura Méndez. Für alle Schüler und Lehrer der Sekundarschulen gibt es außerdem Begleitmaterial, um das Thema Holocaust im Unterricht vertiefen zu können. Dass hierzu Bedarf besteht, zeigen nicht nur die vielen Schülerinnen und Schüler, die nach der Filmvorführung im Kinosaal sitzen bleiben, um mit der Direktorin des Holocaust-Museums über das Gesehene und das Geschehene sprechen zu können. Julio Accavallo, Leiter des INADI Río Negro, unterstreicht noch eimal die Aktualität der Thematik: "Das große Publikum an diesem Tag zeigt die Notwendigkeit, dass sich die Gesellschaft der geschehenen Völkermorde immer wieder erinnert und sich ins Bewusstsein ruft, dass sie auch heute noch stattfinden, wie der aktuelle Fall von Morden an Bauern im Nachbarland Bolivien zeigt."

Aufmerksame Leser werden bemerkt haben, dass in der Auflistung der Schulen das Instituto Primo Capraro, die Deutsche Schule Bariloche, fehlt. Von der Schulleitung oder dem Schulvorstand war bisher keine offizielle Begründung zu erfahren, warum keine Klassen an den Filmvorführungen teilnahmen. Verschiedenen Institutionen gegenüber hieß es, die Vorbereitungszeit sei zu kurz gewesen, oder man fühle sich nicht ein- sondern vorgeladen und stigmatisiert, als sei man als Deutsche Schule immerzu verpflichtet, an solchen Aktionen teilzunehmen. Dem deutschen Botschaftsreferenten gegenüber äußerten Mitglieder der Schulleitung und des Vorstandes, dass man den Film und die Materialien vorher nicht habe sehen können, sinngemäß wurde argumentiert, dass man seiner pädagogischen Verantwortung entsprechend die Schüler keinem unbesichtigten Material aussetzen wollte. Übrigens: Die Schulleitung war wie alle anderen Schulen vier Wochen vorher eingeladen worden, an den Koordinationstreffen und Filmsichtungen teilzunehmen und mitzuwirken. Außer bei einer Sitzung nahm die Schulleitung an keinem weiteren Treffen teil.

Keine Kommentare: