Mittwoch, 29. Oktober 2008

Wieder auf vier Beinen...

...diesmal aber sind es die Beine der Porteños (Einwohner von Buenos Aires), über die Interessantes zu berichten ist. Dann und wann nämlich schwingen sich zwei weibliche Exemplare stilvoll und mit ziemlicher Rafinesse gekonnt um die männlichen welche. Die Frau trägt dabei einen geschlitzten Rock und Schuhe mit Absätzen von der höchsten Sorte und drückt ihren Oberkörper fest gegen den seinen, während er seine rechte Hand auf ihrem Rücken ruhen lässt. Bei entsprechender Musik zeigt ein solches Paar dann sein Können. Ein ständiges Hin und Her, Wechsel von nah und fern, zwischendurch immer wieder eine Art Verzögern, scheinbare Unentschlossenheit, all das gekonnt verhüllt in eleganten Schwüngen und Drehungen, all das prägen den argentinischen Tango.

Was wäre Buenos Aires ohne den Tango? Das ist wie Frankreich ohne Baguette, Amsterdam ohne Koffeeshop oder Rom ohne Pabst. Man glaubt, dass der Tango im Stadtviertel La Boca in den 1880er Jahren entstanden ist. Massen von europäischen Einwanderer strömten damals nach Argentinien, viele davon in die Vororte Buenos Aires'. Zunächst kamen oft nur die Männer, die allein im Land ihre neue Existenz aufbauten, bevor die Familie nachreiste. Sehr oft allerdings ging dieser Traum vom neuen, besseren Leben in der Ferne nicht auf, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit machte sich breit. Um die Einsamkeit und das Heimweh für eine Weile zu vergessen, vergnügte man sich in Bars mit Kellnerinnen und anderen Dienstleisterinnen, man flirtete und tanzte für ein bisschen Freude und Spaß in der gähnenden Langeweile. So heißt es in unserem Reiseführer (Lonely Planet): "Es war eine kraftvolle Mischung aus Machismo, Leidenschaft und Verlangen, verzweifelt und aggressiv". Die dazu gesungenen Lieder beschreiben die hiesige Situation nur all zu deutlich, zum Beispiel im Lied Por una Cabeza von Carlos Gardel.

Typisch für die Tangomusik ist das Bandoneon, eine Art Miniakordeon. Mindestens zwei sollte in einem Tangoorchester (Sexteto típico) vertreten sein, hinzu kommen ein Klavier, ein Kontrabass und zwei Violinen.

Während meines Aufenthalts in Buenos Aires wurde ich eines abends von meiner "Gastmutter" Luba überrumpelt, als sie sagte: "Wir gehen heute abend zu einer Milonga, und du kommst mit!" Eine Milonga in Buenos Aires ist eine typische Tangotanzveranstaltung in einem typischen Tangotanzsaal, in dem die ganze Nacht nichts als getanzt wird. Ich komme in den Genuß den Salon Canning kennen zu lernen. "Der Beste, den es gibt", sagt Luba, "die beste Tanzfläche und nur wenig Touristen." Dort angekommen treffen wir eine Reihe von Freunden von Luba, die alle dem Tango verfallen sind.

Die Milonga läuft nach ganz bestimmten Spielregen und Signalen ab, die nicht ganz einfach zu durchschauen sind. Was ich bisher herausgefunden habe:


  • Tanzen darf jeder mit jedem, jung mit alt, alt mit schön, schön mit jung und umgekehrt. Luba sagt, dass sei ein generationsübergreifender Ort. "Es spielt keine Rolle, wer du bist. Hauptsache du beherrscht den Tango. Nada mas!" (Mehr nicht.)
  • Gespielt werden immer vier Tangostücke. Diese Folge nennt man Tandas, danach folgt ein kurzes Musikstück aus Rock und Pop als Intermezzo. Die gerade eben noch tanzenden Paare verlassen das Parkett.
  • Folgt eine neue Tandas, so mischen sich die Paare neu. Dabei nickt der Mann der Frau seiner Wahl kurz zu. Nickt sie zurück, geht der Mann zu ihr und führt sie zur Tanzfläche.
  • Beginnt die Musik, stehen die Paare erst mal noch ein Weilchen auf der Tanzfläche, halten ein Schwätzchen, denn spätzestens, wenn getanzt wird, gibt es keine Möglichkeit mehr dazu. Ernst und mit steifer Miene schauen die Tänzer auf ihre Füße. Luba erklärt mir, das habe damit zu tun, dass der Tanz höchste Konzentration erfordert.
  • Will jemand nicht zum Tanzen aufgefordert werden, so hat er eine passive Haltung einzunehmen, denn sonst kommt es zu peinlichen Missverständnissen.
  • Es gilt als angemessen, mindestens zwei Lieder mit jemanden zu tanzen, auch wenn sich schon beim ersten Takt herausstellt, dass die Wahl ein Fehlgriff war.
Gegen ein Uhr morgens wird die Musik vom Band abgelöst durch das Tangoorchster Orquestra Tipica Afronte. Eigentlich wollte ich längst gegangen sein, aber jetzt muss ich noch ein wenig durchhalten und den hausgemachten Tango live erleben. Der nächste Tag wird hart, da ich um Viertel nach Acht wieder los muss zu meiner Fortbildung.

Im Internet kann man sich Tangotänze in Hülle und Fülle ansehen. Hier, hier und auch hier gibt es etwas aus dem Salon Canning zu sehen. Keine typische Milonga, sondern Vorführungen von echten Könnern. Wer Lust und Zeit hat kann dann noch weiter stöbern, staunen und entdecken. Das Angebot ist groß.

Für mich bleibt der Tango ein Rätsel. Ich habe nicht erkennen können, wie der Tango aufgebaut ist, welche Schritte aufeinander folgen, welche sich abwechseln und wie das Zusammenspiel zwischen Mann und Frau so reibungslos funktioniert. Dennoch - oder gerade deshalb - hat es mir Spaß gemacht, einfach dazusitzen und zuzuschauen (und ich habe dabei natürlich versucht, so passiv zu sitzen, dass sich schon von Weitem erkennen lässt, dass ICH nicht tanzen will. Das war gar nicht so einfach.)

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