Sonntag, 25. März 2007

Ein Schultag in Bariloche

Bariloche. Ein Schultag an der Deutschen Schule in Bariloche fängt eigentlich schon recht seltsam an. In Deutschland würde es wahrscheinlich ein großes Geschrei geben, wenn sich die Schüler, noch dazu in Schuluniformen, um Punkt acht Uhr in Reih und Glied im Pausenhof versammeln würden und zum Hissen der Nationalflagge zwar nicht die Hymne aber ein bekanntes Volkslied, dass blechern vom Band schallt, singen würden. Wenn man sich allerdings an die Diskussionen zur WM letztes Jahr erinnert, darf man ja auch als Deutscher wieder so etwas wie Nationalstolz zeigen (aber nur, solange die Welt zu Gast bei Freunden war ...). Hier vermittelt dieses Ritual Gemeinschaftsgefühl und Identifikation mit dem Instituto Primo Capraro, mit dem Land, mit dem Volk. (Die Schule ist übrigens nach einem italienischen Einwanderer benannt, der dem damaligen "Deutschen Kirchen- und Schulverein" Anfang des Jahrhunderts das Stück Land für die Schule schenkte.) Die Schuluniformen sehen auch nicht sehr nach Militär, sondern eher leger aus. Weiße Hemden, Blusen oder bequeme T-Shirts sind Pflicht, dazu gibt es blaue Pullover oder Fleecejacken mit Logo, die Hosen können frei gewählt werden, die meisten entscheiden sich aber für dezentes blau, grau oder schwarz. Eine insgesamt gute Möglichkeit, wie ich finde, um dem Markenmobbing Herr zu werden und den Gegnern von Uniformen dennoch den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Schüler diskutieren die Uniform durchaus kontrovers, stellen letztendlich aber die Vorteile in den Vordergrund. Für die Sportstunden (educación física) gibt es außerdem blaue Jogginghosen, die Mariana (17) zum Beispiel gerne auch mal an anderen Tagen trägt, weil sie so bequem ist. Das sei aber eigentlich nicht erlaubt und werde von den preceptoras eigentlich überprüft, sagt sie. Die preceptoras (wörtlich etwa "Erzieherinnen") Ana Rosa, Claudio und Fabrizio sind so etwas wie Mädchen für alles, sie kümmern sich um je zwei Jahrgangsstufen der Secundaria, haben immer ein Ohr für die Sorgen der Kids und regeln jede Menge organisatorischen Kram wie Geld für Ausflüge einsammeln, Anwesenheitslisten führen, Zeugnislisten und vieles mehr, was es bei uns so nicht gibt. Sie geben den Schülern zum Beispiel jeden Freitag ein Heft (libreta - Notizbuch) mit nach Hause, in dem die Eltern über die Vorkommnisse der Woche informiert werden: Verspätungen, Tests, gute Hausaufgaben, schlechte Noten, Termine, Verwarnungen usw. Am Montag bringen die Schüler das Heft dann wieder mit und geben es bei den preceptoras ab.

Der Unterricht ist in Doppelstunden (80 Minuten) ohne Pause organisiert, was der Konzentrationsfähigkeit der Schüler nicht gerade förderlich ist; schon 45-Minuten-Einheiten sind lernpsychologisch nicht sinnvoll. Daher erfordert die Unterrichtsorganisation viele methodische Wechsel. Der für die Aufmerksamkeit förderliche Methodenwechsel nach 20 Minuten lässt sich aber nicht immer mit dem aktuellen Lerngegenstand, der Übungsform und den Lern- und Arbeitsgeschwindigkeiten der Schülerinnen und Schüler vereinbaren ... aber was rede ich, Lernen in der Schule ist und bleibt künstlich erzwungen (und vor allem total uneffektiv). Die Schule wirkt diesem systemimmanenten Problem mit schüleraktiven und handlungsorientierten Unterrichtsmethoden und modernen Konzepten wie "Schule in Bewegung" entgegen. Es werden kleine Pausen eingebaut und in den großen Pausen allerlei Spielgeräte zur Verfügung gestellt. Diese kehren auch tatsächlich nach der Pause wieder vollständig zurück. Sowieso sind alle Türen in der Schule ständig offen, Lehrerzimmer und Büros eingeschlossen, von Vandalismus kaum eine Spur.

Das Beste des Tages ist das Mittagessen in der Mensa der Schule. Letztens gabs ein Stück Rinderfilet vom Feinsten, so was hab ich noch in keiner Kantine der Welt gegessen. Aber eigentlich ist das Beste am Mittagessen nicht das Essen, sondern meine clase castellano con Hector (clase - Unterrichtsstunde). Hector kommt aus Chile und arbeitet seit über zwanzig Jahren als Hausmeister an der Schule. Hector spricht mal übers Wetter mit mir, mal über seine Heimat Chile oder über die Argentinier. Und immer hat er unendlich viel Geduld mit mir, spricht schön langsam, wählt einfache Worte und bestätigt oder korrigiert meine dürftigen Sätze auf castellano. Einfach wunderbar.

Die Großen haben dann um zehn vor Drei Schule aus, die Kleinen um halb Vier, dafür haben sie eine richtige Mittagspause von fast einer Stunde, und die Mensa wie gesagt ist wirklich gut ... Nach meinem Unterricht, der in der Regel nach der 8. oder 9. Stunde endet, warte ich noch einen Moment, ehe ich mich auf den Heimweg mache. Genauso wie morgens herrscht dann nämlich ein heilloses Chaos vor der Schule, minutenlanges Gehupe und Gerufe - und das, obwohl unser Pförtner José Maria den Haltestreifen extra dafür mit Pylonen frei hält -, weil scheinbar alle Schüler von ihren Eltern mit dem Auto abgeholt werden. Eltern tragen die Rücksäcke ihrer Kleinen, Schülerinnen verabschieden sich, ein beso hier, ein beso da - in Argentinien immer nur ein Küsschen auf die rechte Wange! José Maria wird von Eltern immer wieder herzlich begrüßt und sofort wieder verabschiedet, weil sich ja morgen alle schon wieder sehen. Nos vemos, wir seh'n uns. Allerdings erst nach Ostern! Die Schule hat für die Osterwoche zwei Tage frei gegeben, da montags Feiertag ist (Gedenken an den (verlorenen) Malvinenkrieg gegen die Engländer 1982) und Gründonnerstag und Karfreitag immer frei ist, dafür gibts hier keinen Ostermontag. Als aus dem Gerücht in der Schule vor zwei Wochen Wirklichkeit wurde, haben Birgit und ich gleich eine Woche Meer gebucht. Nos vemos en Valeria del Mar.