Freitag, 16. März 2007

Centenario 100 Años - ein Festakt zum Auftakt

Bariloche. Heute ist Feiertag, an der Schule jedenfalls. Die Feierlichkeiten zum Jubiläumsjahr der Deutschen Schule Bariloche werden mit einem offiziellen Festakt in der Stadthalle eröffnet. Anschließend Empfang mit Sekt und Häppchen in der Mensa der Schule. Ich muss nicht lange überlegen, was ich anziehen soll, hatte ja nur Jeans, Hemden und zum Glück ein Cord-Sakko und die Hochzeitskrawatte in den Koffer gepackt. Die Anzüge, die ich in den nächsten Jahren hier wahrscheinlich nie mehr brauchen werde, kommen erst in gut zwei Wochen mit den Umzugskartons. Meine einzigen Schuhe passen eigentlich auch nicht recht dazu. À propos Schuhe, da muss ich doch eben was über diese lästigen Ohrwürmer erzählen, weil mir doch heut Morgen schon wieder einer aus dem Schuh fällt. Also nicht einer dieser Ohrwürmer von ABBA oder so, die man den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf bekommt, sondern einer von diesen forficula auricularia, besser bekannt als Ohrenkneifer! Davon gibt’s hier eine richtige Plage: abends spülst du drei den Abfluss in der Küche runter und setzt vier aus dem Flur vor die Tür, und morgens fallen wieder fünf aus dem Küchenlappen und verschwinden hinter der Verkleidung, dem Herd und dem Kühlschrank. Der Küchenlappen heißt hier übrigens trappen! Auf castellano ist es el trapo, woraus die Argentino-Deutschen in ihrem „Belgrano-Slangtrappen gemacht haben. Jedenfalls sind überall diese Viecher, in der Küche, unter der Haustür, in der Dusche krabbeln sie auch nach fünf Minuten noch irgendwo her, im Brot verkrümeln sie sich, in den Klamotten, wenn man die Wäsche von der Leine nicht ordentlich ausgeschüttelt hat, und besonders gerne, Gott weiß warum, verkriechen sie sich unter der Fernsehzeitung! Birgit hatte letztens einen in der Socke, mit ihrem Fuß drin wohlgemerkt, und mir fiel vorgestern schon mal einer aus dem Schuh. Bei meinem neuen morgendlichen Ritual, die Schuhe vorher auszuklopfen, musste ich sofort an das „Dschungelkind“ Sabine Kuegler denken, die ihre ganze Kindheit im Dschungel Indonesiens verbrachte und noch Monate nach ihrer Ankunft in der Schweiz allmorgendlich ihre Stiefel ausschüttelte, um sie auf Skorpione zu überprüfen …

Bueno, die Schule pilgert jedenfalls heute Morgen geschlossen in die Stadthalle und alles von Rang und Namen ist geladen: Botschafter, Landesministerin für Bildung, Vorstandsvorsitzender samt Vorstand der Schule, Bürgermeister, Tourismussekretär, Polizeidirektor, Honorarkonsul, Ehemalige und Förderer der Schule, ehemalige Schüler, ehemalige Lehrer, Eltern und die aktuellen Schüler dürfen auch kommen. Die Schuldirektorin darf sogar mitten in der ersten Reihe sitzen, während die rund 700 Kindergartenkinder und Schüler die seitlichen und rückwärtigen oberen Ränge füllen. Auf dem Parkett nehmen derweil die etwa 200 geladenen Gäste Platz, und das nicht etwa eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn, sondern genau rechtzeitig, so dass sich natürlich alle Gäste gleichzeitig zu ihren Plätzen drängeln. Mit zehn Minuten "Verspätung" (nach deutschem Empfinden) geht es schon los. Zum Glück folgt auf jede spannende Rede ein unterhaltsamer und lehrreicher Auftritt, so sehe ich mitten im tiefsten Argentinien wohl zum ersten Mal im Leben einen echten Schuhplattler live. Nach dem Botschafter nämlich, der sich freundlicherweise an Mark Twains Ausspruch hält, eine Rede müsse einen guten Anfang und ein gutes Ende haben und beide sollten möglichst dicht bei einander liegen, tritt tatsächlich die schuleigene TanzgruppeAlpenroseauf! Damals war ich wahrlich erstaunt, als auf der Internetseite der Deutschen Schule zum ersten Mal was von der „Alpenrose“ las, aber jetzt komme ich aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Einfach unglaublich, was die Teenies da in original bayrischen Kostümen aufs Parkett legen. Die Gruppe hat vor drei Jahren sogar einen Vizeweltmeistertitel aus Deutschland mit nach Hause gebracht. Nach der Rede des Bürgermeister führt eine andere Schülergruppe einen argentinischen Volkstanz auf, wahrscheinlich ein chacarera, wobei ich mir da nicht ganz sicher bin. Getanzt wird dabei in Paaren, aber ohne Handfassung, Tänzer und Tänzerin umkreisen einander und versuchen sich durch bestimmte Bewegungen und Schrittfolgen zu beeindrucken. Am meisten haben sie allerdings mich beeindruckt, insbesondere, als nach weiteren Reden und Choreinlagen beide Gruppen zusammen zum Abschluss eine selbst kreierte, sozusagen interkulturelle Choreographie zeigen. Nebenbei mache ich eine interessante Beobachtung: Während der ganzen Veranstaltung ist zu beobachten, wie auf den Rängen ein allgemeines Gewusel herrscht, die Kinder rutschen und rüseln herum, hören dann und wann wieder gespannt dem Botschafter zu, dessen starker Akzent ihre Aufmerksamkeit bannt, wuseln wieder lautlos rum und schauen dann wieder bezaubert den Tänzerinnen und Tänzern zu. Auf dem Parkett hingegen ist nur ein leichtes Wanken der Köpfe der andächtig lauschenden Erwachsenen zu sehen, ihr ganzer Bewegungsdrang scheint erstickt, sozusagen aberzogen. Ein faszinierender und nachdenklich stimmender Gegensatz.

El acto ist angenehm kurz und kurzweilig, so dass wir gegen Mittag zur Schule zurückgehen und uns endlich den Häppchen zuwenden. In gemütlichem Beisammensein sehen sich viele Ehemalige der Schule nach langer Zeit hoch erfreut wieder, allerhand wichtige Leute werden allerhand anderen wichtigen Leuten vorgestellt und weitere wichtige Leute sprechen ganz viele – wie ich doch wohl trotz schwer verständlichem castellano ganz leicht vermute – warme Worte zum Jubiläum aus. Nachdem der Botschafter noch irgendwelche Geschenke überreicht und Hände geschüttelt hat, werden wir bekannt gemacht und er fragt mich, wie ich denn nach Bariloche gekommen sei. Ich bin drauf und dran, meine Lieblingsantwort zu geben, ich sei mit dem Flugzeug gekommen, entscheide mich dann aber doch für die „diplomatische“ Variante und erzähle über den Bewerbungsweg. Wer weiß, wofür ich den Herrn Botschafter noch brauche … Der heutige Feiertag endet schließlich mit einem Filmbeitrag in den 19-Uhr-Nachrichten (noticias) im lokalen TV-Sender Canal 6 de Bariloche. À propos Fernsehen, da könnte ich euch auch noch so einiges über das argentinische Fernsehen erzählen, aber das soll für heute reichen. Good night, and good luck.