Samstag, 22. November 2008

Des Argentiniers wahre Seele

Davis-Cup-Finale im Tennis, Argentinien gegen Spanien, die Sandplatzspezialisten aus Spanien sind nicht nur wegen Tarzan Nadal haushoher Favorit, Argentinien jedoch bekommt Heimrecht und darf Austragungsort und Bodenbelag bestimmen. Die Krux an der Geschichte ist, dass auch die Argentinier eher auf Sand als auf Hartplatz gewinnen. Und, es gibt kein echtes Tennisstadion, selbst für das größte Turnier des Landes in Buenos Aires (ATP-Status mit 531.000 USD Preisgeld!) werden Stahltribünen aufgebaut, die das enthusiastisch grölende und hüpfende Publikum fast zu Fall bringt. Nach langen Diskussionen um Ort und Belag, die in der heimischen Presse genüsslich ausgebreitet werden, entscheidet man sich für Mar del Plata an der Atlantikküste, mit 600.000 Einwohnern immerhin noch die siebtgrößte Stadt Argentiniens, aber auch die Heimat von Tennis-Legende Guillermo Vilas, der gleich mal für irgendwas geehrt wird, nomen est omen. Und man verlegt einen Hartplatz, um die Chancen zu steigern. Als dann auch noch Rafa Nadal wegen Übermüdung und Schmerzen absagt, kippen die Wettquoten und TyC Sports darf sich auf noch höhere Einschaltquoten freuen.

Und wer jetzt denkt, ich hielte mit den Gauchos, der irrt. Denn was hier abgeht, ist typisch argentinisch, hochmütig und selbstgerecht, kokett und chauvinistisch, Klischee wie es im Buche steht. In den lokalen Medien liest man: "Die argentinischen Fans glüten vor Inbrunst und verwandelten das Stadion 'Islas Malvinas' in einen Hexenkessel. (...) La Bombonera (Stadion von Boca Juniors) eingezwängt in einen Tennisplatz." Was sich hier während der Matches abspielt, habe ich im ganzen Tennis noch nicht gesehen. Das Publikum der Australien-Open und der US-Open, das in der Szene als laut und manchmal unhöflich bekannt ist, weil die Fans schonmal hörbar Partei ergreifen, nimmt sich dagegen wie leise Konzertränge aus. Ununterbrochene Fangesänge, laute Schlachtrufe mit Trommeln und Trompeten begleiten jeden Ballwechsel, gellende Pfeifkonzerte, Zwischenrufe und Buh-Rufe erschallen bei jedem Aufschlagfehler, die Fehler und besonders die Doppelfehler der Gegner werden bejubelt, und sogar während der Aufschlagvorbereitung der Iberer und während der Ballwechsel ebbt das Gegröle nicht ab - ein Tabu im Tennis. Das Westfalenstadion beim Revier-Derby ist nichts dagegen, sowas kannte man vielleicht noch aus den besseren Tagen der DEG an der Brehmstraße, heute allenfalls noch mit der Anfield-Road oder Old Trafford vergleichbar. Die Argentinier zeigen hier ein Verhalten, das an Unsportlichkeit und Arroganz nicht zu überbieten ist, die Gesänge gehen deutlich unter die Gürtellinie, nur ein Beispiel: "A estos putos maricones les tenemos que ganar." (Gegen diese gef... Schwu... müssen wir gewinnen.")

Aber so ist er eben, der Argentinier, fanatisch und egoistisch, und dazu eben ein wenig heimtükisch und gewissenlos, wenn es um sein Wohl geht. Der Stuhlschiedsrichter hebt beschwichtigend die Arme und bittet unablässig um Ruhe, ohne jeden Erfolg, immerhin versucht auch der argentinische Coach, die Meute zu beruhigen. (Ich habe noch nie einen Tennisschiedsrichter so viel reden hören.) Um so bewundernswerter ist die Ruhe der spanischen Spieler, die nach den ersten drei Partien mit 2 zu 1 führen, da Fernando Verdasco und Feliciano Lopez das Doppel nach Satzrückstand für sich entscheiden (5-7, 7-5, 7-6, 6-3). Morgen stehen die entscheidenden beiden Einzel an, für mich ist die Entscheidung jedoch schon gefallen, Europameisterschaftsfinale hin oder her, egal ob die Iberer hier den ungleichen Kampf gegen tausende Irre gewinnen oder verlieren, sie haben meine ganzen Sympathien. Und jetzt können sie auch mal dem verzweifelten toro gegen übermächtige Toreros nachfühlen.


Nachtrag: Spanien gewinnt den Davis-Cup nach 2000 und 2004 durch den entscheidenen Sieg von Fernando Verdasco mit 3 zu 1, das letzte Einzel wurde nicht mehr gespielt. Da können wir uns wohl 2012 auf den nächsten Sieg der Spanier einstellen.

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