Sonntag, 16. März 2008

Das Wandern ist des Gringos Lust

Im Frühtau zu Berge wir geh´n, fallera,
es grünen die Wälder, die Höhn, fallera.
Wir wandern ohne Sorgen
singend in den Morgen
noch ehe im Tale die Hähne krähn.







Nicht ganz so harmonisch wie im Volkslied verlief unsere erste gemeinsame Wandertour zu einem der vielen Refugios rund um Bariloche. Marc hatte bereits einige paar Tage zuvor die Bergwelt unsicher machen wollen, was jedoch nicht von Erfolg gekrönt war, denn die Bergwelt war eindeutig stärker und schaffte es ihrerseits, Marc tief zu verunsichern. Die Beratung im hiesigen Club Andino, der für Ausflüge in die Berge der erste Ansprechpartner sein soll, enttäuschte doch arg. Alle Touren seien gut zu schaffen, die Wege prima und alles kein Problem. Jedoch war Marcs zweitägige Wandertour Paso de las Nubes alles andere als anfängertauglich. Nach diesen Erfahrungen glaubten wir danach doch lieber der Meinung der Kollegen und Bekannten, die uns eine Wanderung zum Refugio Otto Meiling auf dem Tronador empfahlen, mit 3491 m der höchste Berg in unserer Umgebung. Der von Gletschern umgebene Berg macht seinem Namen (Donnerer) alle Ehre, denn von Zeit zu Zeit hört man schon von weitem das Grollen, wenn Eismassen in die Tiefen stürzen. Ausgangspunkt der Wanderung ist Pampa Linda, das man nach einer zweistündigen Fahrt über 50 km Schotterpiste erreicht. Kurz vor Beginn dieser Buckelpiste wird Eintrittsgeld zum Parque Nacional Nahuel Huapi verlangt, dem ältesten Nationalpark Argentiniens. Als Ansässige haben wir jedoch freien Eintritt. Zu beachten ist zusätzlich, dass die Verkehrsrichtung der Straße alle fünf Stunden wechselt: Nach Pampa Linda hin kommt man nur zwischen 9 und 14 Uhr, bis 19 Uhr geht es dann in die andere Richtung zurück nach Bariloche. Für die Wanderung sind vom Startpunkt bis zur Berghütte fünf Stunden angesetzt. Ich gehe jedoch davon aus, dass wir schneller sind, zu oft konnten wir in der Vergangenheit die angegebenen Richtwerte unterbieten. Noch bin ich optimistisch und frohen Mutes: Der Himmel ohne Wolken, der Bauch gefüllt, die Haut eingecremt mit LSF 65, der Rucksack voller Proviant und Wasser, sodass es einem an nichts mangeln muss. Noch ist die Welt in Ordnung, mein Leben scheint nicht in Gefahr, ich wähne mich in der absoluten Gewissheit, dass ich diesen Tag überleben werde. Auch, nachdem wir endlich die schweren Rucksäcke auf dem Rücken tragen und die ersten Schritte wagen, ahne ich noch Nichts. Nachdem wir den Río Castaño Overo überqueren, folgt eine lange Reihe von Serpentinen, die wir stets durch kleine, quer verlaufende Trampelpfade abkürzen. Mal müssen wir unter einen umgefallenen Baumstamm langkriechen, mal einen sandigen Steilhang hoch oder herunterhängende Äste versperren uns den Weg. Dies ist allerdings im Gegensatz zu dem, was uns in Kürze erwarten wird, ein Kinderspiel. Als wir Serpentine Nr. 458 abkürzen, bekommen wir unerwarteten Besuch. Erst eine, dann zwei, drei, kurze Zeit später jedoch Hunderte. Sie nennen sich tábanos, was man gemeinhin als Bremse übersetzten würde. Jedoch das, was uns da das Leben zur Hölle macht, kann man unmöglich als Bremse bezeichnen. Da haben sich Abscheulichkeit, Dreistigkeit, Gemeinheit und Persistenz zusammengetan, um dem Menschen verschiedenste negative Emotionen zu entlocken: Wut, Angst und Verzweiflung sind ab sofort unsere Begleiter. Sie fliegen wie Bienenschwärme um Kopf und Beine herum, versuchen um jeden Preis Hautkontakt zu bekommen, und einige versuchen es sogar in allen möglichen Körperöffnungen. Bleibt man stehen, ist man ihnen ausgeliefert. So ist Bewegung der einzige klägliche Ausweg, mit dieser Situation fertig zu werden. Wenn wir anderen Wanderern begegnen, schauen wir uns stumm und mitleidig an, Anteilnahme braucht hier keine Worte, das wäre auch fatal, denn beim Öffnen des Mundes eröffnen sich neue Horizonte für unsere lästigen Begleiter. Das stetige Schlagen und Schwingen eines Tuches oder Hutes scheint Abhilfe zu bringen, andere versuchen es mit Tanzen, wiederum andere vermummen sich mit allem, was sie dabei haben. Würde man von oben auf den Berg schauen können, sähe man eine Horde wildgewordener Wanderer, die offenbar alle von derselben Geisteskrankheit befallen sind. Eine Pause ist aufgrund der hohen Angriffsgefahr nicht möglich, Gehen und Bewegen heißt die Devise. An der Baumgrenze vorbei, sind wir nun auch der Sonne schutzlos ausgeliefert. Körperliche Schwäche stellt sich ein, Schweiß, Sonnencreme und Staub bringen Unerfreuliches, eine pelzige, schmierige Schicht bildet sich auf unserer Haut. Mir macht das allerdings nicht mehr viel aus, denn ich habe das Gefühl, mein Leben retten zu müssen. Keuchend, wankend und kraftlos suchen wir Schutz vor der Sonne unter einem kleinen Felsvorsprung. Zwei Dosen kühle Limonade, die Marc zur großen Überraschung aus dem Rucksack zaubert, haben gleich eine doppelte Wirkung: Der Zucker verhilft uns zu neuer Energie und so wird auch der Rucksack leichter. Die letzte Stunde ist angebrochen, an den Gletscherfeldern angelangt tut sich die letzte Etappe auf. Endlich haben wir Sichtkontakt zum Zielobjekt, was hilft, die letzten Energiereserven zu sammeln. Nach fünfeinhalb Stunden sind wir oben angekommen und uns erschließt sich eine spektakuläre Sicht auf die drei Gipfelspitzen des Cerro Tronador, viele Gletscher und die Andenkette. Alle Strapazen und Anstrengungen sind vergessen. Nach einem zünftigen Abendessen genießen wir den Sonnenuntergang, die Sterne und die Stille der Nacht. Ein Erlebnis, das zur Wiederholung einlädt!

PS: Zwei Wochen später hätten wir die tábanos wohl nicht kennen gelernt, sie haben eine recht kurze Lebensdauer und zeigen sich in dieser Gegend nur im Januar und Februar.

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